Bemerkenswerterweise war es ausgerechnet ein Ratsvertreter der Grünen, der als einziger dezidiert (und warnend) den Finger in die Wunde legte: Ist es moralisch richtig, dass Politik eine Entscheidung der eigenen Bürger quasi „einkassiert“ und dem demokratisch erwirkten Bürgerentscheid nun nach zwei Jahren einen Ratsbürgerentscheid folgen lässt – um seine Bürger erneut über dieselbe Sache abstimmen zu lassen, nämlich die Eishalle Unna?
Dies soll wie berichtet am Sonntag der Bundestagswahl, dem 26. 9. 2021, geschehen. Bericht HIER.
Das sei ein ganz schwerwiegendes Instrument, gab Michael Sacher, 1. stellv. Bürgermeister und Bundestagskandidat der Grünen, in der Generaldebatte um den Eishallen-Bürgerentscheid am Donnerstagabend im Haupt- und Finanzausschuss zu bedenken.
Dass Sacher als Einziger offen derartige Skrupel anmeldete, was insofern bemerkenswert, als ausgerechnet die Grünen die Eissporthalle Unna am allerwenigsten erhalten wollen und daraus nie einen Hehl machten. „Wir sehen die Zeit der Halle als abgelaufen“, zitierte Ratsherr Karl Dittrich die glasklare Aussage der Grünen seinerzeit bei der Entscheidung, ob die Eissporthalle saniert oder abgerissen wird.
Letzteres verhinderte allein der von der Bürgerinitiative „Unna.braucht.Eis“ erwirkte und gewonnene Bürgerentscheid vom 26. Mai 2019.
Alle anderen, bis auf LINKE (pro Erhalt) und FLU (Enthaltung), votierten in jener denkwürdigen Ratssitzung für das Aus der 40 Jahre alten Eissporthalle am Bergenkamp.
An der Position der Grünen, unterstrich Dittrich, habe sich kein Deut geändert. „Wir wollen keinen Euro in diese alte Halle stecken.“
Weniger konsequent hatten SPD und CDU in der Eishallencausa agiert. Zwar wollten beider Vertreter die Eissporthalle ebenso wenig erhalten wie die Grünen, doch im Kommunalwahlkampf traten sie mitsamt ihren jeweiligen Bürgermeisterkandidaten (Katja Schuon für die SPD, Dirk Wigant für die CDU) als leidenschaftliche Verfechter des Bürgerwillens auf.
Wigant verkündete zu dem Thema sogar explizit: „Mit mir als Bürgermeister wäre es nie zu diesem Bürgerentscheid gekommen.“
Das hörte sich jetzt irgendwie alles plötzlich ganz anders an. Die neue Kostenkalkulation, die die von Wahlgewinner Wigant geführte Stadtverwaltung zur Hallensanierung in Auftrag gab und am 22. April im Hauptausschuss vorstellte, war mit den dort bezifferten Summen von 12 bis 15 Millionen Euro dazu angetan, zunächst den gesamten Rat in Schockstarre zu versetzen und nun das gesamte Eishallenprojekt jetzt wieder neu zur Disposition zu stellen.
Dabei duldeten SPD- und CDU-Vertreter in der Sitzung am Donnerstagabend vehement keinen Hauch von Zweifel an den im Gutachten aufgeführten Beträgen.
„Wir für Unna“ hatte die Kostenkalkulation nachrechnen lassen und war zum Fazit gekommen: Hier werde ein kompletter Neubau geplant und die Halle quasi „totgerechnet“. (Bericht HIER).
Derartiges verbitte man sich, echauffiert sich jetzt Michael Tietze von der SPD. Im Inbrunst der Empörung attackierte er zugleich die LINKE.plus-Ratsfrau Petra Weber-Ondrejka, die in der allgemein aufbrandenden stürmischen Verteidigung der Stadtverwaltung und namentlich des 1. Beigeordneten Jens Toschläger als einzige deutliche Worte des Widerspruchs wagte.
„Natürlich sollte man Kritik in einem vernünftigen Ton äußern. Aber aus persönlichen Gesprächen weiß ich, dass viele Mitglieder des KJEC und von Unna braucht Eis sehr unzufrieden damit sind, wie seitens der Stadtverwaltung kommuniziert wird.“
Zuletzt hatte UbE wie berichtet eine Mail des Eishockey-Ehrenpräsidenten Rainer Maegde an den 1. Beigeordneten Toschläger öffentlich gemacht, in der sich der Verbandsvertreter bitterlich über die Art des Umgangs beklagte (unwahre Behauptungen, Schweigen auf Mails) und sein Berater-Mandat enttäuscht niederlegte.
Auf diese Mail und die dazugehörige Presseerklärung von „Unna.braucht.Eis“ (HIER nachzulesen) bezog sich Toschläger jetzt in der öffentlichen Ausschusssitzung und holte zur Generalkritik an der Eishalleninitiative, „den Medien“ im Allgemeinen und den sozialen Medien“ im Besonderen sowie den Kommentaren aus, die er in den „sozialen Medien“ habe lesen müssen.
- Dazu merken wir an, dass unsere Redaktion selbstverständlich eine Bitte um Stellungnahme an die Stadtverwaltung geschickt hatte, damit diese die Vorwürfe des Eishockey-Ehrenpräsidenten und UbE aus ihrer Sicht dar- oder auch klarstellen konnte. Als Antwort kamen folgende Zeilen aus dem Rathaus: „Herr Maedge war Mitglied in der Auswahlkommission für den Planer der technischen Gebäudeausrüstung. In diesem Verfahren wurden die schriftlich eingereichten Konzepte durchgesprochen und mit Punkten belegt. Am 13.07.2020 war Herr Maedge zur Bewertungskommission für die Planer Architektur eingeladen. Nach seiner anfänglichen Zusage musste er leider krankheitsbedingt absagen. Zur Kick-off Veranstaltung mit allen Planern haben wir Herrn Maedge dann noch einmal für den 25.08.2020 eigeladen. Die Verwaltung bedankt sich bei Herrn Maedge für die Begleitung der Prozesses, in den er insbesondere in den beschriebenen Schritten seine willkommene außerordentliche Fachexpertise eingebracht hat.“
Umso ausführlicher holte Jens Toschläger jetzt in der öffentlichen Ausschusssitzung zum Konter aus und sah sich von lautstarkem Applaus aus der Lokalpolitik bedacht. Hier Auszüge (in der Sitzung von uns protokolliert) aus den Redebeiträgen.
Jens Toschläger, 1. Beigeordneter Stadt Unna: „Das macht etwas mit Menschen“ – Juristische Schritte gegen Kommentarschreiber in sozialen Medien überlegt
„Das Thema, das jetzt gerad ein den Medien diskutiert wird, ist nicht das, was wir uns wünschen und wie wir uns diese Diskussion vorstellen. Es ist eine Diskussion, wo man persönlich wird, und dies in eine Weise, wo wir über juristische Schritte nachdenken.
Da ist zu lesen, man wolle ,den Rat in die Knie zwingen´. Man solle die Stadtverwaltung aus dem Rathaus jagen´. Wir als Verwaltung, meine Mitarbeiter stellen alles unter das Ziel, die Eishalle vollumfänglich und gut abzuarbeiten.
Mittlerweile wird (jedoch) eine Stimmung erzeugt, die die ganze Stadtverwaltung in eine Schieflage bringt. Ich sagen Ihnen, meine Damen und Herren: So etwas macht etwas mit Menschen. Das macht auch etwas mit mir. Und ich stelle mich hier und heute Abend bedingungslos vor diese Menschen!“
Rudolf Fröhlich (Fraktionsvorsitzender CDU): „Werden verunglimpft, sind dumm, dämlich – unerträglich“
„Ich kann mich Ihnen, Herr Toschläger, nur vollumfänglich anschließen. ich war bestürzt, was ich teilweise in den sozialen Medien gelesen habe.
Diese Beschimpfungen und Beleidigungen bezogen jeden Einzelnen dieses Rates mit ein. Wir werden verunglimpft, wir sind dumm, wirtschaften in die eigene Tasche und sind dämlich. Das macht was mit Menschen, ja. Das ist unerträglich.
Wir als CDU haben hier die städtischen Finanzen im Blick. Es wurden uns die unterschiedlichsten Kostenschätzungen für die Sanierung der Unnaer Eishalle präsentiert. Den 2,5 bis 3 Millionen von Unna.braucht.Eis folgte das Weicken-Gutachten mit 8 Millionen Euro – sofort wurde unterstellt, das sei künstlich hochgerechnet.
Aber Sie werden eine solch alte Halle nicht mit ein paar Dachlatten und Rödeldraht zusammenflicken. Fakt ist: Wenn das Konzept (von Unna.braucht.Eis, d. Red.) nicht aufgeht, trägt das Risiko einzig die Stadt.
Wir müssen hier neu Überlegungen stellen – auch über eine neue, kleinere Halle an anderer Stelle, etwa in Massen (Freibadbrache, d. Red.). Bei einem Ratsbürgerentscheid kann es nicht darum gehen, nur zu fragen: Wollt ihr so viel Geld in eine alte Halle stecken?“
Karl Dittrich (B90/Die Grünen): „Damals wie jetzt keinen Euro in diese alte Halle“
„Ich erinnere an die Aussage von uns Grünen, als wir als Rat vor der Entscheidung standen: Wollen wir diese Halle erhalten. Wir Grüne haben uns klar positioniert.
Wir sehen die Zeit der Halle als abgelaufen. Ich kann das für meine Fraktion heute nur wiederholen. Wir werden keinen Euro in diese alte Halle stecken.
Für einen Ratsbürgerentscheid müssen die Folgebelastungen klar sein, ökologisch und finanziell.“
Michael Tietze (SPD): „Werden den Bürgerentscheid so nicht mehr mittragen“
„Ich würde gerne mal wissen, wie sich der Bürgermeister positioniert! Herr Bürgermeister, wie stellen Sie sich zu dieser polemischen, völlig überzogenen Kritik? Ich erwarte, dass sich der Bürgermeister vor seine Leute stellt! Gute und qualifizierte Arbeit wird verunglimpft. Das ist unerträglich!“
(Zum weiteren Vorgehen): „Wir müssen einen Ratsentscheid treffen, dass wir den Bürgerentscheid so nicht mehr mittragen.“
Dirk Wigant (CDU), Bürgermeister der Stadt Unna: „So kann man eine Gartenhütte planen, aber keine Eishalle“
„Zu meiner Positionierung: Die Stellungnahme, die Sie eben vom 1. Beigeordneten gehört haben, ist vollumfänglich mit mir abgestimmt und entspricht gänzlich meiner Position.
Das Kardinalproblem ist: Die Eishalle wurde komplett stillgelegt. Sie braucht jetzt eine neue Nutzungs- und Baugenehmigung. Wenn behauptet wird, die Stadt ist zu pingelig, dies und das und jenes kann man kostengünstiger haben. So kann man eine Gartenhütte planen, aber keine Eishalle!
Wir haben verlässliche Zahlen. Das erste Betreiberkonzept von Unna.braucht.Eis wurde von neutraler Stelle als ,nicht realistisch´ eingestuft.“
Zu den im Stadtauftrag ermittelten Kosten von 12 bis 15 Mio. Euro:
„Wir können das auf keinen Fall aus dem Haushalt bezahlen. Das geht dann nur mit einer Grundsteueranhebung. Um wieviel? Um 50 bis 70 Punkte.“
Damit stiege die ohnehin schon hohe Belastung der Unnaer Grundeigentümer auf rund 900 Punkte.
Stichwort: Ratsbürgerentscheid, geplant am Bundestagswahlsonntag, 26. September 2021
Ratsbürgerentscheid – wie funktioniert er?
Mit Hilfe eines Ratsbegehrens können die Gemeindevertretungen eine Abstimmung aller Bürger – den Ratsbürgerentscheid – herbei führen. Für den Rat gibt es vier Gründe, ein Begehren zu initiieren:
1. weil sich der Rat in einer wichtigen kommunalpolitischen Entscheidung nicht einig war
2. aufgrund der Auffassung, dass dies die Legitimität einer Entscheidung erhöht oder
3. um das Anliegen eines nicht eingereichten oder unzulässigen Bürgerbegehrens aufzugreifen
4. als Alternativfrage zu einem zur Abstimmung kommenden Bürgerbegehren
Wie bei durch Bürgerbegehren initiierten Bürgerentscheiden ist das Erreichen eines gewissen Zustimmungsquorums notwendig. In NRW müssen derzeit je nach Gemeindegröße zwischen 10 und 20 Prozent aller Stimmberechtigten ein Bürgerbegehren mit ihrer Stimme unterstützen, damit der Bürgerentscheid gültig ist.
Bei einem Ratsbürgerentscheid müssen die Stimmen für oder gegen ein Ratsbegehren deshalb ebenfalls 10, 15 oder 20 Prozent aller Stimmberechtigten ausmachen. Wird dieses Quorum nicht erreicht, entscheidet wieder der Rat. NRW verlangt eine Mehrheit von zwei Dritteln aller Mitglieder. (Quelle: Mehr Demokratie e.V. NRW)
Quelle: Rundblick Unna